Nützlicher als Citalopram? Antidepressiva DIY!
In meinem Leben war ich schon so oft unglücklich, dass ich geradezu süchtig nach Tipps bin, wie ich glücklicher werde. Auf meiner Liste ganz oben stehen Methoden, die ohne Medikamente auskommen. DIY – der englische Ausdruck für Handwerken = do it yourself – ist mein derzeitiges Highlight. In einem Artikel einer Psychologin über die Arbeit mit Depressiven hatte ich gelesen, dass Handwerken und Basteln glücklich macht. Unabhängig vom Resultat! Das klang sehr ermutigend, war ich doch nicht gerade ein Genie beim Basteln.
Meine erste, selbstgenähte Tasche war ein Flop. Mama zeigte mir ihre Nähmaschine, dann haben wir eine Kordel selbstgedreht – hej, das war lustig! – und danach ging es einem alten Handtuch an den Kragen. Zusammenklappen, Seiten vernähen, Kordel dran – fertig war die Badetasche. Oder sollte sie sein. Sobald ich mein nasses Handtuch reinstopfte, gingen die Nähte wieder auf und ich musste meine Schwimmsachen einzeln in der Hand nach Hause tragen. Aber es stimmte – das Nähen hat Spaß gemacht und das gute Gefühl hielt länger als die Tasche.
Damals war ich 11 Jahre alt und hatte glücklicherweise keine Depressionen. Ich bin aber von Schweden noch Deutschland gezogen und hatte noch keinen neuen Freunde, wurde in der Schule gemobbt und mein kleiner Bruder, auf den ich aufpassen sollte, ging mir gehörig auf die Nerven.
Als die Eingewöhnungszeit vorbei war, sind wir wieder umgezogen. Insgesamt 30 Mal in meinem Leben; einmal äußerte sich meine kindliche Einsamkeit sogar in Bettnässen; andere Kinder können echt grausam sein. Deshalb wollte ich lernen, nicht mehr angreifbar zu sein.
Neu in eine fremde Schule zu kommen, ist nie leicht. Da die Situation in meinem Leben öfter vorkam, wollte ich etwas an mir ändern, wenn ich schon einen weiteren Umzug nicht beeinflussen konnte. Frech sein, fröhlich sein, das war doch eine gute Idee. Die fröhlichen Kinder wurden nämlich nie gemobbt und die frechen Kinder sowieso nicht.
Zuerst habe ich es mit vorgetäuschter Fröhlichkeit und einer großen Klappe probiert. Das ging so lange gut, bis jemand eine Schwachstelle in der vorgetäuschten Fröhlichkeits-Rüstung gefunden hatte. Was könnte ich nur tun, um auch innerlich glücklich zu sein?
Mein Bruder lernte Fußball zu spielen und kam in jeder neuen Stadt gleich wieder in eine neue Mannschaft. Ich konnte Fußball nicht ausstehen. Also lernte ich Klavierspielen. Das war super! Es half meinem inneren Seelenfrieden, ich war stabiler als vorher und auch nicht mehr ganz so frech. Leider kann man sich ein Klavier nicht über die Schulter hängen und mit ins Zeltlager nehmen. Alleine war ich also trotzdem.
Heute habe ich statt Basteln und Musizieren Handwerksarbeiten für mich entdeckt.
Meine Projekte sind gerne mal etwas größer und dann sind wir immer mit mehreren zugange. Hier kann ich endlich all das anwenden, was Psychologen schon lange wissen:
In der therapeutischen Arbeit mit Depressiven zum Beispiel ist Beschäftigungstherapie ein wichtiges Instrument. Das liegt am Zusammenhang von Erfolg und Selbstbewusstsein. Etwas selbst herstellen – auch wenn es nicht perfekt ist – macht Spaß. Es stärkt das eigene Urvertrauen, negative Erlebnisse können besser abgeblockt werden. Jede Heimwerkerstunde ist ein kleiner Urlaub vom Alltag.
Das Element „Geld sparen beim Selbermachen“ trifft übrigens auf mich nicht zu. Entweder kaufe ich zu teures Material oder muss nachher alles nachbessern lassen, weil es zwar schön war, mich damit zu beschäftigen – mit all den positiven Nebenwirkungen vom Stressabbau, der Selbstbestätigung und der Flexibilität. Aber wenn ich das Selbstgemachte auf Dauer benutzen will, brauche ich manchmal noch einen bezahlten Profi, der es funktionstüchtig macht. Egal. Während der Zeit hatte ich meinen Spaß und billiger als eine Therapie oder Medikamente ist es allemal.
Einen Teil am Heimwerken, den ich liebe, ist die Flexibilität. Mein Mann sagt dann:
Oh, jetzt kriegt sie wieder ihren Rappel. Weil es passieren kann, dass alle in der Familie ins Bett gehen wollen und ich um 23.30 Uhr anfange, Kleinigkeiten umzuräumen, Deko woanders hinzustellen oder sogar Möbel von einem Zimmer ins andere zu tragen. Weil ich morgen als Erstes die Wand neu streichen will und das Sofa im Weg ist. Überhaupt könnte es ja sein, dass mir das Sofa im Kaminzimmer besser gefällt als im TV-Zimmer? Wieder ein Grund, umzuräumen. Meine Umräumaktionen enden oft mit ganz neuen Designs – andere Bilder an der Wand, andere Gardinen, aus dem Schlafzimmer wird ein Gästezimmer und das Wohnzimmer wird Schlafzimmer inklusive Yoga-Ecke. Öfter als ich umziehe, räume ich im Haus rum.
Psychologen sagen, ich brauche das haptische Erlebnis des Gestaltens.
Was? Ach so, anfassen von Material meinen die.
Hirn und Hand würden gemeinsam arbeiten. Ja, finde ich auch, bloß mein Mann sagt manchmal, dass es ihm vorher besser gefallen hat. Auch gut. Wird eben zurückgeräumt. Außerdem kann man beim Handwerken ein Ergebnis sehen, einen Erfolg, etwas Neues entsteht, an dem ich mich immer wieder freuen kann. Stimmt. Dieses Paletten-Sofa, das ich selbst zusammengeschraubt habe, freut mich. Es ist neu, es bereichert mein Büro und es hat ein paar Stunden gedauert, in denen ich sehr glücklich beschäftigt war. Ist es auch schön? Na sicher. Ich hab ja einen schönen Vorhang darüber drapiert!
Alles ohne Citalopram oder Johanneskraut oder Psychotherapie.
Selbst ist die Frau. Mit meinem Hammer in der Hand bin ich viel weniger aggressiv als ohne Hammer. Dabei war dem Verkäufer im Baumarkt bestimmt nicht klar, dass ich diesen Hammer kaufe, um an meinem Glück herumzuklopfen anstatt nur Nägel einzuschlagen.
Hast du dein Glück schon gefunden? Oder den Weg dahin? Wenn nicht, probier mal Handwerken. Die positiven Effekte sind überraschend schön, egal, ob du gut bist oder nicht. Welcher Bereich des Lebens kann das schon von sich behaupten? Thema verfehlt? Ausführung schlecht? Du bekommst deine Eins!