Heute lache ich drüber,  Meine Rezepte,  Über mich

Igitt, heute gibts Linseneintopf!

In meiner Kindheit gab es Rezepte, die hatten das Potential, mir bestimmte Lebensmittel auf Jahre oder sogar Jahrzehnte hinaus zu vergraulen. Der Linseneintopf von Oma war eins davon.

Ich bin im Sauerland zur Schule gegangen, das war damals in den 70er Jahren eine sehr katholische, konservative Gegend. Wir wohnten in Meschede, immerhin die „Großstadt“ mit 18.000 Einwohnern – wenn man alle kleinen eingemeindeten Dörfchen dazu zählt. Provinz war es trotzdem.

In der 5. Klasse sind alle Mitschüler katholisch und kommen zum großen Teil aus alteingessenen Familien. Die Lehrer kannten schon ihre älteren Brüder und Schwestern und verwechselten oft die Vornamen. Auch hatten alle kleinen Katholiken mehrere Vornamen und in der Pause war es ein beliebtes Gesprächsthema, sich gegenseitig mit den schlimmen Vornamen auszustechen, die man mit sich rumschleppen musste.
Wir haben uns schlappgelacht bei sowas: Melanie Edwina Käthe Isolde von Dingenskirchen.

Mein Bruder und ich „verloren“ jedesmal, wir beide hatten nur einen Vornamen. Das führte dazu, dass ich meine Eltern davon überzeugte, wenigstens dem Nachzügler in unserer Familie zwei Vornamen mit auf die Reise zu geben. Und so heißt er heute Laszlo Frederic.

In diesen Familien gab es noch andere Traditionen, die ich überhaupt nicht kannte. Zum Beispiel stand der Essensplan für eine ganze Woche fest. Meine Freundin wusste am Dienstag schon, was es am Donnerstag zu Mittag geben würde. Manchmal freute sie sich aufs Nachhause-Kommen, manchmal – wie an Eintopf-Tagen – eher nicht.

Bei uns war Essen etwas Spontanes. Ich weiß heute noch nicht, ob meine Mama nie geplant hat und selbst sehr spontan entschied oder ob wir Kinder das einfach nicht mitbekamen. Jedenfalls war es täglich eine Überraschung, nach Hause zu kommen und erst am Tisch zu sehen und zu riechen, was es gab.

Anfangs waren wir nicht so wohlhabend und vielleicht kochte meine Mama deshalb die billigen Nachkriegsgerichte von Oma? Als mein Vater in der Firma aufstieg und wir wieder mal umzogen (alleine in Meschede 4x!), änderte sich auch unser Essen. Heute denke ich, dass meine Erinnerung verzerrt ist und die Igitt-Bäh-Mittagessen einfach länger im Gedächtnis blieben als die ganz normalen Mahlzeiten. Es gab ja auch Leckeres, aber manchmal…

Linsen-Eintopf bei Oma war eins dieser gräßlichen Gerichte. Die Linsen wurden mit Essig gekocht und mitten im Teller schwamm eine glibbrig weiße Masse – Speck! Den zumindest hat meine Mama weggelassen und statt dessen Kochwürste in den Eintopf getan. Aber bei Oma war der Speck wichtig! Kriegsgeneration, Nachkriegsgeneration, Hungerwinter, Landbevölkerung. Egal, wie ich das erklären will, Speck und gute Butter gehörten dazu, als man es sich endlich wieder leisten konnte.

Netterweise durften wir Kinder den weißen, weichen Speck auf Opas Teller loswerden, aber alleine das glitschige Gefühl, wenn der Speck vom Löffel rutschte und ich ihn mit einem spitzen Finger wieder zurückschob, um ihn quer über den Tisch zu bugsieren… ich fühle das heute noch an den Fingerspitzen.

Auch den Essig im Eintopf konnte ich nicht ausstehen. Aber in den 70er Jahren gab es keine Möglichkeit für Kinder, ein gemeinsames Essen bei den Großeltern zu umgehen. Da mussten wir durch, ob das Essen schmeckte oder nicht. Wenigstens durften wir danach in den riesengroßen Garten!

Das änderte sich schlagartig, als mein Opa meiner Oma einen hochmodernen Hühnchengrill kaufte; so ein Ding mit Drehspieß, wie in einer Imbissbude, aber eben nur für ein einzelnes Hühnchen. Meine Oma mochte den stundenlangen Bratengeruch in ihrer Küche nicht und so stand der Grill draußen im Gartenschuppen. Das hatte den riesigen Vorteil, dass wir schon auf dem Parkplatz wussten: Jippieh, es gibt Brathähnchen! Für uns Kinder ein Traum und diese Wochenenden bei Oma, die mit Grillhähnchen begannen, einen Ausflug an den nahen Baggersee enthielten und dann das stundenlagen Rumtoben mit Cousins und Cousinen im Garten – das war ein Stück Paradies! Unsere Familie war die Einzige, die weggezogen war und so sah ich meine Cousins und Cousinen fast immer nur bei Oma & Opa. Den regelmäßigen Beerdigungen der Großfamilie sei Dank!

Wir wuchsen also sehr unterschiedlich auf und auf dem Land ging man mit Tieren und Fleisch anders um als bei uns in der Stadt. Trotzdem, als wir Kinder waren, war Hühnchen irgendwie nur Fleisch. Im Gegensatz zu Kaninchen.

Mit den Kaninchen hatten wir vorher im Garten gespielt, sie mit Gras und Möhren gefüttert und ausführlich gestreichelt. Als Oma sagte: Kinder, Überraschung, es gibt Kaniggl! war das Drama groß und dieses Mal schaffte es meine Mama, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass wir nicht mitessen mussten. Ich bin später auch jahrelang Vegetarierin gewesen, weil ich den Zwiespalt zwischen „ich lebe mit Katzen, die gehören zu Familie, andere Tiere kann ich essen“ nicht hinbekommen habe. Heute gibt es ab und zu wieder Fleisch, obwohl ich weiterhin meine eigenen Katzen natürlich nie grillen würde. Verdrängung seit Dank.

Zurück zum Linseneintopf. Ich war auf der Suche nach einer Ausrede. Den Speck durfte ich weiterhin abgeben und das Argument mit „Niedliche Kaninchen ess ich nich“ zog irgendwie bei den Hülsenfrüchten so gar nicht.

Meine beste Freundin hatte eine Allergie. Vielleicht war das die Lösung? Sie reagierte allergisch auf Milch und nie, nie, nie, unter keinen Umständen hat einer der Erwachsenen versucht, Milch in Britta hineinzubekommen. Und da hatte ich die Idee!

Ich kam nach Hause und verkündete stolz und sehr selbstbewusst:
Mama, wir haben heute im Biologie-Unterricht über Allergien gesprochen. Stell dir vor, ich habe eine Speck-und-Linsen-Allergie. Der Lehrer hat gesagt, wenn wir eine Allergie haben, dürfen wir das unter gar keinen Umständen essen. Ich mach mir dann einfach ein Käsebrot, ok?

Meine Eltern kamen aus dem Lachen nicht heraus und die Allergie hat mich nicht vor einem einzigen Teller Linsen-Eintopf bewahrt. Später hab ich dann Bauchschmerzen erfunden und auch mal Regelschmerzen, um ja nicht mit am Tisch zu sitzen und Eintopf essen zu müssen. Im Gegensatz zur Allergie hat das funktioniert, allerdings hab ich nichts anderes bekommen und musste hungrig ins Bett.

Ein Aha-Erlebnis hatte ich nach einer Übernachtung bei einer Schulfreundin. Am Sonntag Morgen gab es ein ausgedehntes Frühstück – heute würde man Brunch dazu sagen – und ich probierte viele mir unbekannte Speisen. Cornichons, in Schinken gewickelt. Das waren aber dann bloss Gurken. Frische Feigen. Ich erinnere mich an das krümelige Gefühl im Mund von all den Feigensamen. Dann gab es Joghurt. Aber nicht den Erbdbeer-Joghurt, der bei uns immer auf den Tisch kam, sondern ein dünnes Joghurtgetränkt mit Salz! Ayran. Die Familie war reicher als wir, aber auch viel welterfahrener; beide Eltern waren gebildet und sind viel gereist.

Das kam bei uns erst später und der beste Nebeneffekt davon war: Neue Rezepte!
Anfang der 80er Jahre nahmen wir ein Flüchtlingskind der Cap Anamur auf, das Schiff von Ärzte ohne Grenzen, die Kinder aus vietnameischen Auffanglagern nach Deutschland brachten. Der kleine Lam Kiet hatte so schlimm Heimweh, dass meine Eltern alles taten, damit er sich ein bisschen eingewöhnen konnte. Wir sind den weiten Weg von Meschede nach Frankfurt gefahren, weil es nur dort einen Asia-Laden gab, der die Gewürze und Soßen verkaufte, die Lam zum Essen brauchte. Tausende neue Geschmäcker kitzelten unsere Gaumen und es gab nie wieder schlimmen Linsen-Eintopf.

Es gab aber weiter Linsen!

Zu unser aller Überraschung gibt es auf der Welt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, ein und dasselbe Lebensmittel zuzubereiten. Linsen in Vietnam sind immer noch Linsen. Aber in Curry gekocht und als pürierte Paste in Reis-Teigtaschen frittiert, sind Linsen ein Traum! Nichts erinnert an das Essig-und-Speck-Glibber-Erlebnis von früher. Genauso Linsen aus Indien! Lange geschmort und mit fremdartigen Gewürzen liebe ich Linsen heute. Wenn ich DAL auf einer indischen Speisekarte finde, weiß ich, was ich essen will! Das sind die gleichen Hülsenfrüchte wie bei Oma im Eintopf und doch vollkommen anders. Köche können zaubern! Siehe auch Ayran statt Erdbeer-Joghurt.

Nach diesem Wochenende mit Ayran und Cornichons kam ich nach Hause und wollte unseren Speiseplan revolutionieren. Meine Mutter hat nämlich meine Kritik oft mit diesem Satz abgeschmettert:
Nein, das ist nicht eklig. Das findest DU nur. Guck, der Papa isst alles, ihm schmeckt das.

Es hat Jahre gedauert, bis mein kindliches Gehirn dahinter gekommen ist, dass Mama natürlich nur kocht, was sie und Papa mögen. Dass es aber weltweit Tausende anderer Rezepte gibt, die bei uns nie auf den Tisch kamen, weil meine Mama sie nicht kannte oder Papa sie nicht mochte… Das fiel mir erst da richtig auf, als es bei der Familie Goldbach salzigen Joghurt gab und als Lam Orangensaft nicht zum Frühstück trinken wollte, sondern den Saft mit Chili und Tomate als süßsaure Soße verarbeitete.

Wenn es also etwas gibt, was du überhaupt nicht magst, so wie weißen Glibber-Speck, dann lass es weg.

Wenn es etwas gibt, was nicht sooo lecker ist oder in deinen Augen falsch kombiniert wird, probier was Neues. Heute musst du nicht mehr 200 Kilometer in einen Spezialladen fahren. Du brauchst auch kein Pflegekind aufnehmen, um internatiole Küche kennenzulernen. Das steht alles im Internet – die neue Geschmackswelt ist nur einen Klick entfernt.

Dazu braucht es nur deinen Mut und ein bisschen Experimentierfreudigkeit. Vielleicht noch eine eingefrorene Ration Notfall-Essen, wenn das neue Experiment so gar nicht schmeckt. Von all den vietnamesischen Speisen, die wir von Lam kennenlernen durften, haben es wohl 90% in unseren Speiseplan geschafft. Einiges allerdings… nun ja, es gibt in jedem Land ein Equivalent zu Glibber-Speck.

So kann übrigens auch Abnehmen gelingen. Indem du immer wieder etwas dazulernst. Abnehmen wird einfacher, wenn es du es öfter machst. Weil du jedesmal etwas lernst – Rezepte von den Weight Wachers oder aus der Low Carb Küche, von deinen Paleo-Zeiten oder aus deiner Keto-Phase, vom Fasten, bzw. dem Fastenbrechen und sogar von den Fressanfällen, die dir zeigen, was du nun wirklich nicht mehr willst, weil du dich dran überfressen hast. Irgendetwas bleibt hängen und hilft beim nächsten Versuch!

Leckeres Essen ist ein Teil von gesunder Ernährung. Wie groß der Teil ist, darum geht es im nächsten Blogbericht. Wenn du gerne ein neues Rezept ausprobieren willst oder Tipps rund um dein leichtes Leben suchst, komm in meine Facebook-Gruppe – gemeinsam ist abnehmen und Leben-verändern leichter!

Im nächsten Blog-Bericht geht es um Mimikry, leckere Alternativen und wie man damit abnehmen kann.

Verpasse diese Tipps nicht!

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4 Kommentare

  • Renate Sophia

    Wie unterschiedlich oder auch nicht, man so aufwächst. Meine Mutter hat an manchen Tagen, vier verschiedene Gerichte gekocht. Für jeden das, was er mochte und sie hat immer Neues ausprobiert. Jedes Obst was neu auf den Markt kam wurde verkostet. So war unser Brunch auch immer sehr abwechslungsreich.
    Ich erinnere mich gerade an so vieles, nachdem ich deine Geschichte gelesen habe.
    Du siehst es funktioniert. 😇😂😂👍
    Liebe Grüße,
    Renate Sophia

    • Tanja

      Ganz lieben Dank, Renate! Vier Gerichte? Boah, das gabs bei uns noch nicht mal an Feiertagen! Passende Frage als Ernährungscoach: Mit dieser Vielfalt… hast du als Erwachsene ein normales Eßverhalten entwickelt?

  • Renate Sophia

    Liebe Tanja, meine Mutter war eine sehr leidenschaftliche und tolle Köchin und hat Lebensmittel sehr geschätzt und aus allem was tolles zaubern können. Ich bin schon sehr verwöhnt worden, das stimmt.
    Ich habe jedoch ein ausgewogenes Verhältnis zum Essen und zum essen. 😉 Wenn’s gut schmeckt, esse ich gerne und reichhaltig. Wenn ich keinen Hunger habe, esse ich nichts. Ich habe keine besonderen Vorlieben und achte auf eine ausgewogene Ernährung. Ich wurde als Kind nie gezwungen etwas zu essen, was mir nicht schmeckte.
    Während einer Coronaerkrankung hatte ich ein paar Tage keinen Geschmack und Geruchssinn mehr. Ein schreckliches Gefühl, hilflos und unsicher habe ich mich gefühlt. Seitdem schätze ich das, was ich esse, um ein Vielfaches mehr.

    • Tanja

      Erstaunlich, gell?! Egal, wie mies ein Erlebnis ist (nicht schmecken und riechen zu können ist schlimm, hatte ich auch mal bei einer Krankheit), es entsteht was Großartiges.

      Aus Mist wird Dünger, auf Dünger wachsen Blumen.
      Das brauche ich dir als Gärtnerin ja gar nicht erzählen.

      Mit dem Leben ist es genauso.
      Aus erlebtem Mist wird der Dünger für eine schöne Zukunft.

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